Sternengeschichten Folge 661: Das International Celestial Reference Frame

Sternengeschichten Folge 661: Das International Celestial Reference Frame
"International Celestial Reference Frame" - das klingt ein wenig kryptisch und vor allem sehr technisch. Die offizielle Abkürzung ICRF macht die Sache auch nicht verständlicher. Aber genau dieses ICRF ist das Instrument, dank dem wir wissen, wo sich die Dinge am Himmel befinden. Das ist einerseits enorm wichtig, weil wir wissen wollen, wo sich die Dinge am Himmel befinden. Aber es ist andererseits auch wichtig, wenn wir uns im Weltall bewegen wollen und unserer Satelliten und Raumfahrzeuge in die richtige Richtung steuern möchten. Und deswegen schauen wir uns in dieser Folge an, wie das funktioniert.
Ich habe in den Sternengeschichten immer wieder mal über astronomische Koordinatensysteme gesprochen. Die einfachsten davon orientieren sich logischerweise an der Erde. Wir können zum Himmel schauen und messen, wie hoch ein Stern über dem Horizont steht. Und wenn wir dann noch messen, wie weit östlich beziehungsweise westlich er sich von einem Bezugspunkt befindet, dann haben wir schon eine ganz brauchbare Angabe, um die Position des Sterns in Bezug auf die Positionen anderer Sterne zu definieren. Aber wenn dann eine andere Person Messungen von einem anderen Ort auf der Erde macht, wird es schwierig, denn da kriegt man natürlich andere Zahlen raus. Außerdem bewegt sich die Erde ja um die Sonne; sie dreht sich um ihre Achse, und so weiter. Das muss man berücksichtigen und das hat man auch getan, mit anderen Koordinatensystemen (ich habe darüber zum Beispiel in Folge 307 mehr erzählt). Man kann auch Koordinatensysteme konstruieren, die sich an der Milchstraße orientieren oder an unserem Sonnensystem. Aber am Ende wird man immer an einem Punkt angelangen, wo man feststellen muss: Es gibt in diesem Universum keinen wirklichen Nullpunkt. Es gibt nichts, das sich nicht verändert; es gibt keinen Ort, dessen Position man für alle Zeiten und für alle möglichen Beobachtungspositionen und -situationen als unveränderlich annehmen kann. Und das gilt nicht nur deswegen, weil sich alles im Universum immer bewegt, sondern vor allem auch, weil es so einen Ort aus ganz fundamentalen Gründen nicht geben kann. Das war eine der Erkenntnisse aus Albert Einsteins Relativitätstheorie, die ja nicht umsonst RELATIVITÄTstheorie heißt: Man kann die Dinge immer nur relativ zu anderen Dingen betrachten aber, nichts im Universum ist absolut.
Gut, das ist blöd. Was sollen wir machen, wenn wir nun aber genau so ein absolutes Koordinatensystem haben wollen? Dann muss man improvisieren! Genau das hat die Astronomie auch gemacht. Zum Glück sind wir ja in der Lage, wirklich weit hinaus ins All zu schauen. Also wirklich, wirklich weit. Wir sehen Objekte, deren Strahlung zum Teil Milliarden Jahre bis zu uns gebraucht hat. Zum Beispiel die Zentren ferner Galaxien, die Quasare, von denen ich in Folge 52 ausführlich erzählt habe. In diese Galaxien sitzen gewaltige schwarze Löcher. In deren Umgebung wird Gas und Staub absurd stark beschleunigt und aufgeheizt und das ganze Zeug strahlt dadurch wahnsinnig hell. So hell, dass wir das auch noch hier auf der Erde sehen können. Und natürlich bewegen sich diese fernen Galaxien genau so wie alle anderen. Aber weil sie eben so enorm weit weg sind, merken wir nichts davon.
Das ist so, wie wenn man bei einer Zugfahrt aus dem Fenster schaut. Die Bäume und Häuser direkt neben der Strecke rauschen schnell vorbei; die fernen Berge, die man am Horizont sehen kann, verschwinden dagegen nur sehr langsam aus dem Blickfeld. Und aus Sicht der Erde sind diese extrem weit entfernten Quasare so weit weg, dass sie ihre Position quasi gar nicht verändern. Sie tun es schon, aber aus unserer Sicht geht das so langsam, dass wir es tatsächlich ignorieren können. Klar, wenn wir jetzt ein paar Jahrhunderte lang hinschauen, vielleicht noch mit sehr, sehr viel besseren Instrumenten als wir jetzt haben, dann würden wir schon was merken. Aber für alle praktischen Anwendungen die wir derzeit haben, sind diese fernen Quasare quasi unbewegliche Leuchtfeuer im All, die wir für die Erstellung eines absoluten Koordinatensystems verwenden können.
Was aber in der Praxis nicht so einfach ist, wie man es sich vielleicht denkt. Das erste Mal hat man das im Jahr 1998 versucht. Da wurde das International Celestial Reference Frame 1 offiziell eingeführt. Und natürlich hat man davor auch Koordinatensysteme gehabt, die sogenannten "Fundamentalkataloge", die aber auf der Vermessung von Sternen basiert haben und die Sterne, die wir genau genug vermessen können, sind alle vergleichsweise nahe; so nahe, dass wir ihre Positionsänderung durchaus sehen können und in den Katalogen dann berücksichtigen müssen. Das war umständlich, und deswegen hat man es 1998 mit einem neuen Ansatz probiert. Der ICRF1-Katalog basiert auf der Vermessung von 212 extragalaktischen Objekten und zwar Objekten, die mit Radioteleskopen beobachtet werden können.
Warum gerade Radiobeobachtungen? Einerseits, weil die Quasare auch und vor allem im Radiolicht sehr hell leuchten, so hat man sie ja damals auch entdeckt, wie ich in Folge 455 ausführlich erzählt habe. Und andererseits, weil man mit Radioteleskopen sehr gut und sehr genau beobachten kann. Man kann einzelne Radioteleskope zusammenschalten und damit virtuelle Teleskope schaffen, die eine sehr viel größere Messgenauigkeit haben als die Einzelteleskope. Man kann Radiobeobachtungen auch am Tag durchführen und so sehr lange und durchgehende Messreihen erstellen. Und die extragalaktischen Radioquellen um die es hier geht, sind im Radiolicht oft sehr viel punktförmiger, als wenn man sie im normalen Licht betrachtet, sofern das überhaupt möglich ist.
Nach dem ICRF1 kam natürlich der ICRF2 im Jahr 2009, mit noch mehr Quellen und am 30. August 2018 wurde bei der Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union in Wien der ICRF3 angenommen. Aber wie läuft das jetzt im Detail ab, wenn man so ein International Celestial Reference Frame erstellt? Sehr, sehr kompliziert, weswegen ich das jetzt auch nicht im vollen Detail erklären werden. Aber man fängt mal damit an, den ganzen Himmel in Bereiche einzuteilen; 324 gleic hgroße Stücke in diesem Fall. In jedem Bereich sucht man dann nach passenden Radioquellen und klassifiziert sie dann anhand ihrer Qualität. Das heißt man sucht Quasare, die möglichst hell sind. Sie dürfen nicht zu groß sein; je kleiner sie erscheinen, desto genauer kann man sie vermessen. Sie sollen möglichst konstant leuchten, und so weiter. Für jeden Bereich des Himmels sucht man sich dann die beste Radioquelle aus, und die wird dann vermessen. Man bestimmt mit Radioteleskopen so genau wie möglich die Richtung, aus der die Signale auf die Erde treffen. Dann wirft man jede Menge sehr komplizierte Mathematik auf diese Daten, um zum Beispiel zu berücksichtigen, dass die Erde rotiert oder sich durch die Gezeitenkräfte verformt, dass Teleskope keine perfekten Messinstrumente sind, dass Strahlung durch die Raumkrümmung der Sonne abgelenkt wird, und so weiter. Am Ende werden dann aus den Messungen der Quasare drei Achsen eines Koordinatensystems bestimmt, dessen Ursprung exakt im Massenschwerpunkt des Sonnensystems liegt.
Wie gesagt, in Wahrheit ist das ein sehr langwieriger und komplexer Prozess. Aber wenn man alles sorgfältig genug macht, hat man danach ein Koordinatensystem, das als Grundlage für alle möglichen anderen Messungen und Angaben dienen kann. Das International Celestial Reference Frame benutzen zum Beispiel die Fundamentalstationen um ihre eigene Position zu bestimmen. Diese überall auf der Erde verteilten Messeinrichtungen bilden das Netzwerk, mit dem wir die Erde mit hochpräzisen Koordinaten überziehen. Wir brauchen hier unten ja auch genaue Koordinaten, nicht nur am Himmel. Wie das funktioniert wäre wieder eine ganz andere Geschichte. Aber diese Fundamentalstationen, von denen das ganze irdische Koordinatennetz abhängt, müssen natürlich selbst auch irgendwie wissen, wo sie sind und das wird durch die Verknüpfung mit dem International Celestial Reference Frame erreicht.
Und die Astronomie muss natürlich ebenso genau wissen, wo ihre Teleskope stehen, um die Beobachtungen die damit gemacht werden, sinnvoll auswerten zu können. Deswegen wird auch die Position der Sternwarten mit dem International Celestial Reference Frame millimetergenau bestimmt. Und wenn wir Satelliten und Raumfahrzeuge durchs All schicken, wollen wir natürlich auch wissen, wo die sich rumtreiben und wohin sie fliegen. Das macht man zum Beispiel, in dem man sie von der Erde aus mit Radiosignalen anpeilt. Man wartet, bis die Signale empfangen und zurück geschickt werden und wenn die Signale von zwei oder mehr weit auseinanderliegenden Stationen kommen, kann man aus den kleinen Unterschieden in der Laufzeit die Position der Raumsonde sehr genau bestimmen. Allerdings müssen die Signale auch durch die Erdatmosphäre und werden dort ein bisschen abgelenkt. Diesen Effekt muss man berücksichtigen und das macht man wieder mit dem ICRF. Gleichzeitig mit der Sonde wird auch einer der Quasare aus dem ICRF-Katalog angepeilt. Von dem weiß man ja GENAU wo er ist - das ist ja der Sinn des ganzen International Celestial Reference Frame. Ich weiß also, wo der Quasar sein soll und wenn meine Messung eine Abweichung zeigt, dann muss dass genau der Fehler sein, der durch die Atmosphäre erzeugt wird. Und da ich diesen Fehler jetzt kenne, kann ich die Positionsdaten der Raumsonde damit korrigieren und weiß genau, wo sie sich befindet.
Es gibt noch jede Menge andere Gründe, warum es gut ist, dass wir das International Celestial Reference Frame haben. Es wird in Zukunft mit Sicherheit immer weiter verbessert werden; vielleicht wird es irgendwann auch einmal auf eine ganz neue Grundlage gestellt. Aber auf jeden Fall muss sich niemand Sorgen machen, wenn man sich mal ein wenig verloren fühlt. Die Astronomie weiß immer ganz genau, wo alles ist.