Sternengeschichten Folge 528: P Cygni - Das spontane Auftauchen eines Riesensterns

Kaum da und schon wieder weg

Sternengeschichten Folge 528: P Cygni - Das spontane Auftauchen eines Riesensterns

Im Sommer ist in Mitteleuropa das Sternbild Schwan schön und deutlich am Himmel zu sehen. Die markante kreuzförmige Konstellation mit dem hellen Deneb als Schwanz ist kaum zu übersehen. Ein bisschen genauer muss man hinsehen, wenn man in der Mitte des Kreuzes den Stern P Cygni erkennen will. Er ist mit freiem Auge durchaus sichtbar, aber kein extrem heller Stern. Trotzdem ist es überraschend, dass man diesen Stern erst am 18. August 1600 entdeckt hat. Der niederländische Astronom und Kartograf Willem Blaeu, ein Schüler des großen Astronoms Tycho Brahe, arbeitete damals an einem Himmelsglobus und bei den dafür nötigen Beobachtungen fand er im Sternbild Schwan einen hellen Stern, den überraschenderweise vorher noch niemand auf irgendwelchen Karten verzeichnet hatte.

Schon bald war klar, dass es sich dabei um keinen normalen Stern handeln konnte. Denn er wurde immer dunkler und dunkler und 1626 verschwand er wieder. Mit bloßem Auge konnte er nicht mehr beobachtet werden. Erst 1655 tauchte er, so wie damals 1600, wieder am Himmel auf; nur um 1662 ein weiteres Mal zu verschwinden. Das Versteckspiel ging weiter, aber in den letzten Jahrhunderten blieb er sichtbar und wurde langsam heller und heller. Er ist nicht mehr so hell, wie er damals 1600 bei seinem ersten dokumentierten Auftauchen zu sehen war - aber er ist noch ohne Hilfsmittel sichtbar. Seinen Namen hat der Stern vom Sternbild des Schwans, auf lateinisch "Cygnus" und dem Sternkatalog "Uranometria", den Johann Bayer im Jahr 1603 veröffentlicht hat und in dem die Sterne eines Sternbilds mit griechischen Buchstaben nach Helligkeit sortiert werden beziehungsweise mit lateinischen Buchstaben, wenn die griechischen nicht mehr ausgereicht haben. "P Cygni" also und es lohnt sich, einen genauen Blick auf diesen Stern zu werfen.

Was gar nicht so einfach ist, denn wir wissen immer noch nicht exakt, wie weit dieser Stern entfernt ist. Mindestens 5000 Lichtjahre; es können aber auch bis zu 7000 Lichtjahre sein. Dass man einen Stern in dieser Entfernung von der Erde aus überhaupt noch sehen kann, bedeutet, dass es sich um einen extrem hellen Himmelskörper handeln muss. Und tatsächlich ist er mindestens 500.000 mal leuchtkräftiger als die Sonne; vielleicht leuchtet er sogar fast eine Million mal stärker. Dafür muss er natürlich auch sehr heiß sein: P Cygni hat eine Oberflächentemperatur die irgendwo bei 18.000 bis 20.000 Grad liegt; sehr viel mehr als die Sonne mit ihren nur knapp 5500 Grad. Die Masse von P Cygni ist 30 bis 60 Mal größer als die der Sonne und sein Radius ist 76 mal größer. Es handelt sich also um einen gewaltigen Stern, in jeglicher Hinsicht. P Cygni ist das, was man einen "Leuchtkräftigen Blauen Veränderlichen" nennt. Leuchtkräftig und blau ist klar; ein Stern mit so einer großen Masse kann nicht anders als extrem heiß und damit hell zu sein. Die ganze Masse drückt mit enormer Kraft auf das Zentrum des Sterns und entfacht dort ein gewaltiges Kernfusionsfeuer; die Wasserstoffatome in seinem Inneren werden mit enormer Geschwindigkeit fusioniert und gewaltige Mengen an Strahlung bahnen sich ihren Weg nach außen und blähen den Stern dabei auf. Ein so heißer Stern ist auch zwangsläufig blau; es fehlt also noch der Teil mit dem "Veränderlichen".

Es gibt zwar durchaus auch jede Menge Sterne, die ihre Helligkeit verändern. Das tun sie aber meistens periodisch; sie werden also in wiederkehrenden zeitlichen Intervallen heller und dunkler und diese Schwankungen sind im Allgemeinen auch deutlich weniger stark als bei P Cygni. Wenn ständig Sterne so hell bzw. dunkel werden, dass sie für unsere Augen vom Himmel verschwinden oder plötzlich auftauchen, dann hätten wir das im Laufe der Zeit ja durchaus bemerkt. Und wenn doch einmal Sterne plötzlich auftauchen, dann handelt es sich um eine "Supernova"-Explosion, also um die letzten Momenten im Leben eines großen Sterns, der explodiert wenn er in seinem Inneren keine Kernfusion mehr durchführen kann, in sich zusammenfällt und dabei explodiert. Diese gewaltige Eruption und ihr Nachleuchten sieht für uns aus wie ein Stern, der plötzlich dort am Himmel auftaucht, wo vorher keiner war. Irgendwann ist die Supernova erloschen und dann sehen wir nichts mehr; zumindest nicht ohne optische Hilfsmittel. Dass aber ein Stern wie P Cygni immer wieder verschwindet und dann doch wieder hell leuchtend an den Himmel zurück kehrt, ist außergewöhnlich.

P Cygni ist noch nicht explodiert. Aber seine extremen Helligkeitsschwankungen zeigen, dass er sich definitiv dem Ende seines Lebens nähert. Das aber sowieso nicht lange gedauert haben kann. Sterne, die so viel Masse haben wie P Cygni und dadurch so extrem heiß und hell strahlen, verbrauchen ihren Brennstoff viel schneller als die eher behäbig leuchtenden Sterne wie unsere Sonne. Sie wird es auf eine Lebensdauer von gut 10 Milliarden Jahren bringen; Leuchtkräftige Blaue Veränderliche halten dagegen nur ein paar Millionen Jahre durch. Die enormen Mengen an Strahlung die aus ihrem Inneren nach außen dringen, blähen den Stern nicht nur auf; sie reißen quasi auch Teile seiner selbst hinaus ins All. Anders gesagt: Sie geben einen extrem starken Sternwind ab und dabei kommt es immer wieder zu regelrechten Eruptionen, bei denen sich der Stern in eine von ihm selbst erzeugte Gaswolke hüllt, die sich erst im Laufe der Zeit im All verflüchtigt.

Dieses Verhalten kann man auch in einem sehr interessanten Detail sehen, dem "P-Cygni-Profil". Ich habe im Podcast ja schon sehr oft über Spektrallinien gesprochen. Kurz gesagt: Das Material in den äußeren Schichten eines Sterns kann entweder einen bestimmten Teil des Sternenlichts blockieren oder aber durch das Licht des Sterns zum Leuchten angeregt werden. Im ersten Fall fehlt dann ein ganz konkreter Teil des Lichts und man sieht eine sogenannte Absorptionslinie; im zweite Fall kann man eine Emissionslinie beobachten. Nutzt man optische Elemente um das Licht in seine Bestandteile aufzuspalten, kann man genau sehen, aus welchen Farben es zusammengesetzt ist. Verstreut über diesen Regenbogen aller Farben wird man dunkle Absorptionslinien finden können, wo bestimmte Farben fehlen - oder eben helle Linien, die durch zusätzliche Lichtemission erzeugt worden sind. Ein P-Cygni-Profil ist nun eine ganz besondere Kombination aus Absorptions- und Emissionslinie.

Wenn wir das genau verstehen wollen, müssen wir uns überlegen, was wir eigentlich sehen, wenn ein Stern wie P Cygni einen Helligkeitsausbruch hat. Es wird dann jede Menge heißes Gas aus den äußeren Schichten der Sternatmosphäre in alle Richtungen des Alls geschleudert. Wenn wir in Richtung des Sterns sehen, dann sehen wir also, wie ein Teil dieses Gases, nämlich der, der sich genau zwischen uns und dem Stern befindet, auf uns zu bewegt. Das Gas, das sich genau auf der gegenüberliegenden Seite des Sterns befindet, entfernt sich dagegen von uns. Ein Teil des Gases, das sich von uns aus gesehen hinter dem Stern befindet, können wir gar nicht sehen; eben weil es vom Stern verdeckt wird. Vereinfacht gesagt, sehen wir also eine bestimmte Menge an Gas, die auf uns zu kommt und eine etwas kleinere Menge an Gas, die sich von uns entfernt. Das gesamte Gas wird aber vom Licht des Sterns angestrahlt und dadurch selbst zum Leuchten angeregt. Nun müssen wir aber noch den Doppler-Effekt berücksichtigen, den ich ja auch schon sehr oft erklärt habe. Licht, das von einer sich bewegenden Lichtquelle ausgesandt wird, erscheint uns unter einer leicht verschobenen Frequenz, genau so wie der Schall einer sich bewegenden Schallwelle - zum Beispiel von der Sirene eines fahrenden Krankenwagens - mal höher und mal tiefer klingt. Das Licht das von dem Teil der Gaswolke kommt, die sich auf uns zu bewegt wird in Richtung des blauen Lichts verschoben; das Licht des Gases das sich von uns entfernt erscheint dagegen rötlicher. Wir sehen aber kein symmetrisches Bild; weil eben ein Teil des Lichtes vom Stern verdeckt wird. Und jetzt kommt auch noch die Absorptionslinie dazu. Denn das Licht kommt ja nicht nur von den äußersten Teilen der Gashülle auf uns zu, sondern auch von den weiter innen gelegenen Teilen. Ein Teil davon wird auf seinem Weg nach außen von den restlichen Gasschichten absorbiert und so entsteht zusätzlich zur asymmetrisch rot- und blauverschobenen Emissionslinie auch noch eine Absorptionslinie, die ebenfalls in Richtung des blauen Lichts verschoben ist, weil sie ja aus dem Teil des Lichts stammt, das sich durch das Gas auf uns zu bewegt. Ohne Bilder ist das alles ein wenig schwer vorstellbar, aber wenn man diese asymmetrischen Absorptions- und Emissionslinien überlagert, bekommt man ein ganz charakteristisches Profil, das man immer dann findet, wenn ein heißer Stern große Mengen an Gas in Form einer sich schnell ausdehnenden Hülle von sich schleudert.

Es ist kein Wunder, dass wir noch nicht viele Leuchtkräftige Blaue Veränderliche wie P Cygni beobachtet haben. Sie können nur dort entstehen, wo sehr viel Material für die Entstehung von Sternen vorhanden ist und wenn sie einmal angefangen haben zu leuchten, kann sie nichts mehr vor ihrem schnellen Ende bewahren. Durch ihre extremen Sternwinde schleudern sie jedes Jahr eine Menge an Gas ins All, die das hundertfache der Erdmasse betragen kann. Diese Wolken dehnen sich mit mehreren hundert Kilometern pro Sekunden aus und verflüchtigen sich im Kosmos. In astronomischen Maßstäben haben sie ihren Stern aber kaum verlassen, bevor der nach aus Sicht eines typischen Sternenlebens quasi kurz nach seiner Geburt schon wieder bei einer gewaltigen Supernova sein Leben beendet. Die Liste der Leuchtkräftigen Blauen Veränderlichen ist nicht lang, wenn man sie mit der gesamten Anzahl an Sternen in der Milchstraße vergleicht. Umso außergewöhnlicher ist die Entdeckung von P Cygni, und das noch dazu gerade zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als die moderne Astronomie geboren wurden und die Menschen angefangen haben, den Himmel mit Teleskopen zu beobachten. Mit ein bisschen poetischer Freiheit könnte man P Cygni als Stern von Bethlehem bei der Geburt einer neuen Wissenschaft bezeichnen. Aber das wäre dann vielleicht doch ein wenig übertrieben…