Sternengeschichten Folge 515: Der große Filter

Was wartet in der Zukunft aus uns?

Sternengeschichten Folge 515: Der große Filter

Steht die Menschheit vor einer großen Krise; einer gewaltigen Bedrohung; einer enormen Gefahr die uns am Ende sogar auslöschen könnte? Wartet in der Zukunft eine große Prüfung auf uns, die wir bestehen müssen, um weiter existieren zu können? In gewissen Sinne: Ja. Angesichts der Klimakrise und den anderen Problemen die wir unserem eigenen Handeln verdanken, kann man nicht unbedingt davon ausgehen, dass wir in 100, 1000 oder 10.000 Jahren auch noch fröhlich auf der Erde leben. Selbstverständlich müssen wir uns immer wieder anstrengen, dass wir als menschliche Zivilisation weiter bestehen können. Aber das ist nur ein Aspekt von dem, um das es in dieser Folge gehen soll. Sie handelt vom "Großen Filter", den ich in Folge 410 schon einmal kurz erwähnt habe. Es lohnt sich aber, noch mal einen genaueren Blick darauf zu werden.

Die Geschichte beginnt mit dem sogenannten "Fermi-Paradoxon". Also der Beobachtung, die der italienische Physiker Enrico Fermi im Jahr 1950 angestellt hat. Kurz gesagt hat sich Fermi damals überlegt, wo denn die ganzen Anderen sind. Und mit "die Anderen" sind außerirdische Lebewesen gemeint. Wenn das Universum seit fast 14 Milliarden Jahren existiert; wenn es überall Sterne mit Planeten gibt und wenn zumindest auf einigen dieser Planeten Leben existiert, dann sollte eigentlich mehr als genug Zeit gewesen sein, dass wir davon etwas mitkriegen. Selbst mit Raumschiffen die sich an die Gesetze der Physik halten und keinen Überlichtgeschwindigkeitsantrieb haben, hätte die Zeit locker gereicht, um zum Beispiel die gesamte Milchstraße zu kolonialisieren. Zumindest irgendwelche außerirdischen Raumsonden; irgendwelche Roboterraumschiffe oder etwas in der Art hätten doch schon längst mal im Sonnensystem zu Besuch kommen sollen.

Es gibt aber absolut keinen seriösen Beleg dafür, dass so etwas passiert ist. Wir haben keinen Besuch bekommen; wir haben bis jetzt auch nirgendwo im Universum auch nur eine Spur von außerirdischem Leben entdeckt. Warum ist das so? Es gibt natürlich jede Menge Möglichkeiten, das zu erklären und einige davon habe ich in Folge 410 ausführlicher vorgestellt. Eine dieser Erklärungen stammt aus dem Jahr 1996 und ist heute unter der Bezeichnung "Der große Filter" bekannt. Damals hat der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Robin Hansen einen Aufsatz mit dem Titel "Der große Filter - Haben wir ihn schon fast hinter uns?" geschrieben. Hansen ist ein bisschen eine kontroverse Figur; viele seine Aussagen zu Wirtschaft und Gesellschaft sind umstritten, aber das wollen wir jetzt der Einfachheit mal ignorieren und konzentrieren uns auf das, was er damals geschrieben hat.

Auch er stellt fest, dass wir bis jetzt keine Anzeichen intelligenter außerirdischer Lebewesen gefunden haben. Und dass das intelligente Leben hier auf der Erde im Laufe der Geschichte alle ökologischen Nischen gefüllt hat, die es gibt. Wir haben den ganzen Planeten besiedelt; wir haben alle Kontinente erforscht; sind überall dorthin gegangen, wohin wir mit den jeweils vorhandenen technischen Mitteln gehen konnten. Und auch eine Besiedelung des Weltalls ist technisch zumindest prinzipiell möglich. Hansen schreibt, es sei damit zu rechnen, dass wir in der Zukunft dank neuer Technologie die gesamte Milchstraße besiedeln werden. Und fragt sich dann, so wie Fermi, warum das sonst noch niemand gemacht hat. Er schreibt: "Unser Planet, unser Sonnensystem sehen allerdings nicht so aus, als wären sie von einer fortgeschrittenen Lebensform aus dem All kolonialisiert worden und auch anderswo sehen wir nichts davon. Im Gegenteil: Wir sind sehr erfolgreich darin, das Verhalten unseres Planeten, des Sonnensystems, der nahen Sterne, der Milchstraße und sogar von anderen Galaxien durch einfache "tote" physikalische Prozesse zu erklären anstatt durch das komplexe, zielgerichtete Verhalten fortgeschrittenen Lebens. Angesichts der Tatsache, dass unsere Milchstraße den Nachbargalaxien so ähnlich ist, ist es auch zweifelhaft davon auszugehen, dass unsere gesamte Milchstraße eine Art "Naturschutzgebiet" unter lauter besiedelten Galaxien ist."

Irgendwas läuft da schief. Nochmal Hansen: "Die Menschheit scheint eine strahlende Zukunft vor sich zu haben, das heißt eine reale Chance das Universum mit Leben zu erfüllen. Aber die Tatsache, dass das All in unserer Umgebung tot zu sein scheint, legt nahe, dass jedes Stück toter Materie nur eine winzige Chance hat, so eine Zukunft zu erleben. Es muss also einen großen Filter geben, der zwischen dem Tod und dem sich ausdehnenden dauerhaften Leben steht und die Menschheit muss sich der unheilvollen Frage stellen: Wie weit stecken wir schon in diesem Filter drin?".

Hansen meint damit folgendes: Am Anfang steht zwangsläufig tote Materie. Atome, Moleküle, eine Gaswolke, ein Stern. Und am Schluss kommt die "Explosion der Kolonisation", also eine lebendige Zivilisation die in der Lage ist, eine komplette Galaxie zu kolonialisieren. Dazwischen passieren jede Menge Dinge und irgendwo dort muss der "große Filter" stecken, also das, was es offensichtlich so unwahrscheinlich macht, dass eine Zivilisation diesen letzten Punkt erreicht. Denn wenn es nicht so wäre, dann würden wir die Anzeichen der galaktischen Kolonialisation ja irgendwo sehen müssen.

Hansen selbst listet in seinem Text neun Schritte auf. Es fängt an mit dem richtigen Sternensystemen. Dort müssen sich auf einem Planeten Moleküle bilden, die sich selbst reproduzieren können, also zum Beispiel das, was bei uns die RNA und DNA machen. Danach entwickelt sich daraus simples, einzelliges Leben und daraus dann komplexes einzelliges Leben. Dieses Leben lernt, sich sexuell fortzupflanzen und es entsteht mehrzelliges Leben. Danach kommen irgendwann frühe Formen des intelligenten Lebens und schließlich eine fortgeschrittene Zivilisation die das Potenzial der Besiedelung des Weltraums hat. Da stehen wir zur Zeit und jetzt müssten wir noch die "Explosion der Kolonisation" schaffen. Sofern nicht irgendwo der Filter auf uns wartet…

Natürlich ist Hansens Liste nicht vollständig; es gibt noch jede Menge mehr Schritte auf dem Weg vom toten Molekül hin zur galaktischen Förderation. Aber natürlich kann man sich die Frage stellen, die Hansen sich gestellt hat: Wartet der Filter noch auf uns oder haben wir ihn schon hinter uns gelassen? Was wäre zum Beispiel, wenn wir auf dem Mars irgendwelche Mikroorganismen entdeckt; oder in den unterirdischen Ozeanen der Eismonde von Jupiter und Saturn? Dann hätten wir ein zweites Beispiel für die Entwicklung von mehrzelligen Leben; könnten also davon ausgehen, dass alle Schritte bis zu diesem Punkt nicht so enorm schwer sind; denn sonst wären sie ja nicht gleich zweimal in einem einzigen Sonnensystem durchlaufen worden. Dass heißt aber dann auch, dass der große Filter irgendwo hinter diesem Punkt liegen muss und eventuell noch vor uns. Vielleicht war der unwahrscheinliche, schwierige Schritt aber eben auch die Entstehung von komplexen Einzellern? Das haben wir schon erledigt und dann können wir gefahrlos in die Zukunft aufbrechen.

Es ist verständlicherweise spannend, darüber nachzudenken, ob in unserer Zukunft irgendeine unbekannte Gefahr wartet; etwas, was alle intelligenten Zivilisation durchlaufen müssen, wenn sie nachhaltig existieren wollen; etwas, was aber offensichtlich so gut wie niemand schafft, denn wo sind die dann alle? Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass dieses Gedankenexperiment zwar reizvoll ist, aber nur dann Sinn macht, wenn man zuvor sehr viele Annahmen trifft.

Hansen spekuliert viel in seinem Text. Zum Beispiel darüber, ob fortgeschrittenes Leben vielleicht hauptsächlich auf dunkler Materie basiert. Was angesichts dessen, was wir über dunkle Materie wissen und vor allem dem, was wir nicht darüber wissen, deutlich mehr Science Fiction ist als Wissenschaft. Dunkle Materie, so wie wir sie bis heute verstehen, ist keine Materie im "normalen" Sinn. Sondern besteht aus Teilchen, die zum Beispiel gerade nicht miteinander oder mit normaler Materie wechselwirken. Dunkle Materie bildet keine Moleküle; keine größeren Strukturen; keine Planeten, keine Lebewesen. Aber da wir eben auch immer noch nicht genau wissen, aus was dunkle Materie besteht, kann es auch ganz anders sein und niemand kann seriöserweise irgendwas über Dunkle-Materie-Leben sagen. Hansen spekuliert über Kriege, soziale Herausforderungen, sich selbst vernichtenden Zivilisationen, und so weiter. Aber über eines spekuliert er nicht…

Hansen schreibt am Ende seines Texts: "Keine Alien-Zivilisation hat bis jetzt unser Sonnensystem kolonialisiert oder unsere Nachbarsysteme. Unter den Milliarden Billiarden Sterne die es in der Vergangenheit des Universums gab, wurde nirgendwo ein Stand der Technik erreicht, den wir in Kürze erreichen können. Daraus folgt, dass irgendwo ein "Großer Filter" zwischen gewöhnlicher, toter Materie und dem fortgeschrittenen, sich ausbreitenden Leben steht."

Und genau das ist der Punkt, der so kritisch an der ganzen Angelegenheit ist. Ist es denn wirklich sicher, dass das daraus folgt? Ja, wir sehen tatsächlich keine sich über das gesamte Universum ausbreitende Mega-Zivilisation. Aber warum sollten wir die denn sehen? Hansen macht - meiner Meinung nach - den Fehler, den viele Menschen machen, wenn sie über außerirdisches, intelligentes Leben nachdenken: Sie stellen sich diese Aliens so vor, wie wir das aus der Science Fiction gewohnt sind. Halt im Prinzip so wie wir Menschen, nur vielleicht ein wenig anders. Aber auch nicht zu viel anders. Auf jeden Fall als Wesen, die leben, sterben, forschen, nachdenken, Wünsche haben, Sachen erfinden, Raumschiffe bauen, andere Planeten erkunden, und so weiter. Aber warum sollte das so sein? Warum sollten Aliens andere Himmelskörper besiedeln? Warum sollten sie irgendwelche technischen Zivilisation errichten; Alien-Städte mit Alien-Raumschiffen bauen, und so weiter? Ja, WIR haben so etwas gemacht. Aber das ist auch schon alles. Wir haben absolut überhaupt keine Ahnung, ob unsere Form der Intelligenz die einzig mögliche ist. Nicht mal, ob unsere Form von Leben die einzig mögliche ist. Müssen Aliens irgendwelche Individuen sein? Was ist mit irgendwelchen Schwarmwesen? Selbst auf der Erde kennen wir Kollektive aus Mikroorganismen, aus Insekten, usw, die erstaunliche Dinge tun, ohne im eigentlichen Sinne "intelligent" zu sein. Der wichtigste Punkt aber ist: Was ist mit den Aliens, die so sind, wie wir es uns absolut nicht vorstellen können? Es ist schwer, darüber nachzudenken. Es ist unmöglich. Aber nur weil wir nicht anders können, als uns Aliens so vorzustellen wie Menschen, nur ein bisschen anders, folgt daraus ja nicht, dass sie nicht irgendwie komplett anders sein können. Ja, für uns ist es absolut logisch davon auszugehen, dass sich eine fortgeschrittene Zivilisation irgendwann in den Weltraum ausbreitet. Aber es gibt keinen Grund, warum dieses Verhalten verallgemeinert werden können soll. Für irgendwelche Aliens könnte es ebenso vollkommen logisch sein, eben gerade NICHT ins All aufzubrechen. Vielleicht wären sie gar nicht in der Lage, solche Vorstellungen zu entwickeln, genau so wenig wie wir darüber nachdenken können - ja, und jetzt fehlt natürlich ein Beispiel, weil wir darüber eben nicht nachdenken können!

Kurz gesagt: Es ist ein bisschen wie in der Religion. Wir haben uns die Aliens nach unserem eigenen Abbild geformt; so wie wir uns unsere Götter nur als eine Art von "Supermenschen" vorstellen können und deswegen auch genau so vorgestellt haben. Der "Große Filter" ist ein faszinierender Gedanke - aber eben auch nicht mehr als die Antwort auf eine Frage, die nur deswegen existiert, weil wir uns dazu entschieden haben, uns eine Welt vorzustellen, in der diese Frage eine Bedeutung hat. Wir können und sollen selbstverständlich darüber nachdenken, welche Gefahren wir in Zukunft zu bewältigen haben. Aber dabei können wir uns durchaus an dem orientieren, was wir schon ganz konkret wissen: Über die Klimakrise, über die Kriege auf der Erde, über all die anderen Krisen die wir verursacht haben und noch verursachen werden. Aber Schlüsse aus der Nicht-Beobachtung von etwas zu ziehen, von dem es keinen zwingenden Grund gibt anzunehmen, dass es stattfinden muss: Das ist dann doch eher Science Fiction und keine Wissenschaft.